Hat die Boeing 737 MAX 8 Designfehler?

Nach dem zweiten Absturz einer brandneuen Boeing 737 MAX 8 binnen weniger Monate, wurde dem neusten Flugzeug von Boeing nun weltweit Flugverbot erteilt. Auch wenn es noch absolut in das Reich der Spekulationen gehört, was mit der Boeing 737 MAX 8 der Ethiopian Airlines wirklich passiert ist, habe ich zufällig ein Gespräch mit einem Piloten in den USA geführt, welcher auch die Boeing 737 MAX 8 geflogen ist. Auch wenn er natürlich nur spekulieren kann, was und ob wirklich etwas mit dem Flugzeug nicht stimmt, fand ich seine Ausführungen so interessant, dass ich sie mit Euch teilen will. Er stellt sich unter anderem die Frage: „Hat die Boeing 737 MAX 8 Designfehler?!“

Um es hier noch einmal klar zu sagen, auch einige Aussagen dieses Boeing 737 MAX 8 Piloten sind reine Spekulation, denn auch er hat keinen vollständigen Einblick in die Konstruktion und Testerfahrungen bei Boeing. Allerdings ist er als Pilot dennoch sehr tief in der Materie und konnte mir einige Zusammenhänge erklären, welche mich zumindest überrascht haben.

Was ist bei der Boeing 737 MAX 8 anders?

Boeing hat die 737 MAX 8 nicht ganz freiwillig entwickelt, sondern mehr oder weniger, da man von Airbus abgehängt wurde. 2010 hat Airbus angekündigt, die Airbus A320 Familie mit neuen Triebwerken auszustatten, welche das Flugzeug deutlich effizienter machen. Zusätzlich kamen noch einige aerodynamische Verbesserungen hinzu, sowie Upgrades in der Kabine und den Systemen, aber den größten Fortschritt brachten die neuen größeren Triebwerke, welche den Airbus A320 um bis zu 15% effizienter machen sollten.

Der erste Airbus A320 NEO (new engin option) flog 2014 und war für Airbus ein riesiger Verkaufserfolg. Trotz anfänglicher Probleme mit der Lebensdauer der Triebwerke, hat Airbus bereits über 6.500 Exemplare des Airbus A320 NEO und Airbus A321 NEO verkauft.

Große Triebwerke und Winglets sind das Markenzeichen des Airbus A321 NEO

Dieser enorme Erfolg des Konkurrenzproduktes zur Boeing 737 bracht Boeing sehr unter Zugzwang. So hat man sich dazu entschieden auch die Boeing 737-800 und Boeing 737-900 mit neuen, größeren und hocheffizienten Triebwerken auszustatten.

Für Boeing war dies allerdings bei weitem nicht so einfach wie für Airbus, denn während Airbus unter den Airbus A320 mehr oder weniger einfach die großen Triebwerke montieren konnte, musste Boeing die 737 massiv modifizieren.

Das Problem der Boeing 737 ist, dass sie immer auf das Design der Boeing 737-100 mit ihren sehr kleinen Triebwerken und dem daher sehr kurzen Fahrwerk zurück geht.

Dieses Design hat Boeing in den vergangen Jahrzehnten bei jedem Update der Boeing 737 gewisse Probleme gemacht, denn hier größere Triebwerke zu montieren war nie ohne weiteres möglich. So brauchte die zweite und dritten Generation Triebwerksgondeln, welche nicht komplett rund sind, sondern unten abgeflacht, damit man die Triebwerke überhaupt montieren konnte.

Bei der Boeing 737 MAX 8 und MAX 9 hat auch das Abflachen der Triebwerksgondeln nicht mehr ausgereicht und man musste zum einen das Fahrwerk modifizieren, was nur in einem gewissen Bereich möglich war und die Position der Triebwerke verändern. Diese wurden nicht nur weiter vom Flügel entfernt, also nach unten gesetzt, sondern auch weiter nach vorne.

Genau diese neue Position der Triebwerken führte bei der Boeing 737 MAX 8 allerdings zu weitreichenden Problemen.

Die Boeing 737 Max 8 und das MCAS System

Da die neue Position der Triebwerke bei der Boeing 737 MAX 8 massive Veränderungen des Flugverhaltens in gewissen Flugzuständen mit sich brachte, musste Boeing ein Computersystem verbauen, welches den Piloten in den kritischen Flugzuständen unterstützt. Dieses System, welches extrem umstritten ist, heißt MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System).

Durch die neue Postion der Triebwerke und dadurch den veränderten Angriffspunkt des Schub Vektors, kommt es bei sehr plötzlichen Erhöhungen der Triebwerksleistung zu einem so gennanten „Pitch Up Moment“. Hierbei nimmt das Flugzeug durch die Erhöhung der Triebwerksleistung die Nase nach oben und versucht zu steigen.

Besonders in langsamen Flugzuständen oder kurz vor einem Strömungsabriss, ist dies sehr kritisch, da hier das Pitch Up Moment den Flugzustand noch einmal deutlich kritischer machen würde. Dabei kann es durch die weit vorne liegende Position der Triebwerke vorkommen, dass diese bei einem hohen Anstellwinkel in das Ströhmungsfeld des Flugzeuges geraten und hierdurch den Strömungsabriss erst provozieren.

Das neue MCAS System soll genau dies verhindern und bei einem zu langsamen Flugzustand die Nase des Flugzeuges senken, indem die Trimmung des Flugzeuges nach unten gestellt wird.

Massive Kritik am MCAS System

Die Untersuchungsergebnisse von dem Lion Air Absturz in Indonesien vor wenigen Monaten sind noch nicht offiziell, allerdings gilt es als sehr warscheinlich, dass das MCAS System hier den Absturz mit verursacht hat, da es fehlerhafte Daten über die Fluggeschwindigkeit der Boeing 737 erhalten hat und daher das Flugzeug immer weiter nach unten getrimmt hat (und damit auch die Piloten überstimmt hat).

Bei dem Ethiopian Airlines Absturz gibt es augenscheinlich einige Parallelen, weshalb sich inzwischen alle Luftfahrtbehörden der Welt dazu entschlossen haben, der Boeing 737 MAX 8 Flugverbot zu erteilen.

Boeing hat bereits kurz nach dem Lion Air Absturz angekündigt, dass man das MCAS System updaten wird, allerdings lässt dieses Update noch immer auf sich warten, was darauf hindeutet, dass es extrem umfangreich sein wird und sich der Fehler nicht einfach beheben lässt.

Auch in den USA gab es bereits Piloten, welche Probleme mit dem MCAS System im Flug gemeldet haben, allerdings hatten diese keine Unfälle zur Folge, weshalb sie in der Öffentlichkeit keine oder nur sehr wenig Beachtung fanden.

Der Boeing 737 MAX 8 Pilot mit welchem ich sprechen konnte, hatte hier sehr deutliche Worte zu dem System und insbesondere dazu, dass es in der Ausbildung und in den Handbüchern der Boeing 737 MAX 8 kaum Erwähnung findet.

„Wenn ich von einem System, welches mich übersteuern kann nichts weiß, ist das ein großes Problem! Auch mit 20.000 Flugstunden kann ein Pilot nichts machen, wenn der Computer ihm die Kontrolle über das Flugzeug nicht gibt und wenn man nicht weiß wie man ihn abstellt.

Wenn man nicht weiß wonach man suchen muss und die Notfall Checklisten hier nicht auf das System eingehen, dann kann man im Zweifel einfach nichts mehr machen.“

Hat die Boeing 737 MAX 8 Designfehler? | Frankfurtflyer Kommentar

„I think they stretched the limits of what the original design is capable of a bit to far!“ Das war das Resümee des Boeing 737 MAX Piloten, mit welchem ich sprechen konnte. Dabei waren wir uns einig, dass Boeing das Flugzeug „hinbekommen wird“ und aus der Boeing 737 MAX 8 ein sicheres Flugzeug machen wird, allerdings sind die zwei Abstürze extrem bedenklich.

Wenn man nicht auf einem über 50 Jahre alten Design die Boeing 737 MAX 8 entwickelt hätte, sondern ein komplett neues Flugzeug geschaffen hätte, wäre dieses zwar wesentlich teuerer geworden und auch später gekommen. Dennoch wäre es vermutlich noch effizienter gewesen und man hätte es so konstruieren können, dass die Flugeigenschaften unkritischer sind.

Die Nötigkeit des MCAS resultiert lediglich daraus, dass man hier beim Design einen Kompromiss eingehen musste und der Computer soll hier in gewissen Flugzuständen die Unzulänglichkeiten des Designs korrigieren.

Ich will Computer, welche die Piloten im Flug unterstützen nicht verteufeln, denn sie haben in den letzten Jahrzehnten die Luftfahrt signifikant sicherer gemacht, allerdings müssen Piloten diese Systeme kennen und sie im Notfall auch abschalten und übersteuern können.

Nicht grundlos sitzen in Passagierflugzeugen immer zwei meist erfahrene Piloten, welche mit ihrer Einschätzung und ihrer Erfahrung vermutlich beide Boeing 737 MAX 8 Abstürze hätten verhindern können, wenn sie im Umgang mit MCAS richtig geschult worden wären.

Jetzt bleibt es an Boeing, hier einiges nachzuholen. Wie lange dies dauern wird, ist aktuell noch unklar.

6 Kommentare

  1. Eine gute und verständliche Zusammenfassung und Einschätzung. Danke!
    Eigentlich macht es mich auch fassungslos wohin Profitgier führen kann.
    Ist es nicht schrecklich, dass so viele Menschen erst sterben mussten bevor das Problem unter dem Druck des Flugverbots in Angriff genommen wird ?

  2. Um es mal auf den Punkt zu bringen: Das Muster musste aus diversen Gründen (einer ist natürlich wie immer Geld) so konstruiert werden dass es nicht korrekt fliegt, da es ein Drehmoment aufweist (pitch up moment). Ein richtig konstruiertes Flugzeug hat natürlich kein Drehmoment, da dieKräfte sich im Gleichgewicht befinden. Und diese konstruktionsbedingte Schwäche (man könnte auch absichtlicher Konstruktionsfehler sagen) wird nun durch ein Computersystem ausgeglichen. Das muss man sich mal vorstellen. Für mich unfassbar. Das hat auch überhaupt nichts mit Flugcomputersystemen im Allgemeinen zu tun. Stellen Sie sich vor Mercedes würde seine S-Klasse modifizieren, die aber konstruktionsbedingt nicht geradeaus fährt sondern immer ein wenig nach links zieht. Und dann baut man einen Computer ein der das ausgleichen soll. Völlig irre, die Typen von Boeing….

    • Ein Flugzeug hat sehr wohl Momente. Bei jedem Kurvenflug treten Momente auf, da die eine Flügelseite mehr Auftrieb durch die Neigung erzeugt..Jedoch ist ein Flugzeug viel zu komplex um das Problem meist auf einige Dinge zu vereinfachen. Dazu müsste man alleine erst mal Informationen über Schwer- und Neutralpunktlage zu kennen um die Frage zum Nickmoment oder zur einstellenden Trimmung zu beobachten. Weiter geht zur aerodynamischem und geometrischen Anstellung oder diverse weitere Parameter des Flügels wie Wölbung, S-Schlag und co..jedoch ist das natürlich vollkommene richtig die Flugsysteme oder Flugregelung zu hinterfragen, wenn das System nicht mit dem Höhenmesser gekoppelt. Aus Fehlern einer falschen Geschwindigkeitsmessung sind auch schon vor einigen Jahren Air France Piloten zu einer dramatischen Fehleinschätzung gekommen. Eine anderes Thema wäre dazu auch die Integritätsanforderung der verbauten Systeme. Jedoch ist bisher alles nur Spekulation und ich hoffe man wird so schnell wie möglich weitere Anforderung zu den Unfällen bekommen

  3. Jeder halbwegs ausgebildete Informatiker weiß daß JEDE Software Bugs hat, und diese Bugs auch JEDE Software irgendwann zur Fehlfunktion bringen. Daher ist es kriminelle Machenschaft, ein Flugzeug zu konstruieren, das ohne eine Software-Krücke nicht mal ordentlich fliegen kann !

    • Hallo Paul,

      Das Problem ist fast noch viel größer. Vermutlich hätte man die Boeing 737 MAX bei beiden Abstürzen ohne das MCAS problemlos retten können. Das System soll eigentlich nur in sowieso schon kritischen Flugzuständen helfen, daher ist das ganze mehr als Tragisch, um es einmal vorsichtig zu sagen.

      LG
      christoph

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